15. & 16. April, Tristan da Cunha, entlegenste bewohnte Insel der Welt

Nach vollen 12 Tagen auf See taucht nachts am Horizont ein Schimmer auf. Mit jeder weiteren Meile steigen einzelne schwache Lichter empor. Es lassen sich eine Siedlung und Festland erahnen.
Eines nach dem anderen werden in der Dunkelheit die Segel eingeholt, bis schließlich um 4 Uhr in der Frühe die Ankerkette nur knapp vor der Insel scheppernd ins Wasser fällt und das Segelschiff an den Boden klebt. Es ist wolkig und regnerisch, noch lässt sich außer den Lichtern nichts von der Insel erkennen.
Tristan da Cunha ist die entlegenste bewohnte Insel der Welt und unser letzter geplanter Halt vor Kapstadt. Über 1000 Meilen Wasser trennen dieses Eiland von jedem anderen bewohnten Punkt auf Erden. Tristan ist ein Vulkan, der auf dem mittelatlantischen Rücken über 3 km aus der Tiefsee steigt und über 2000 Meter hoch die Wasseroberfläche überragt.
Keine Flugzeuge, keine Helikopter. Nur etwa einmal im Monat bringen Schiffe aus Kapstadt Post, Nahrung, Medikamente und Maschinen. Die Schiffe ankern dann wie wir vor der Insel, denn der Hafen besteht nur aus zwei kurzen Molen, die begrenzten Schutz für kleine Fischerboote bieten.
In den Sommermonaten versuchen eine Handvoll Reiseschiffe aus der Antarktis hier mit ihren Passagieren zu landen. Aber häufig verbietet das Wetter jeden Landgang, denn nur bei ruhiger See können die Schlauchboote der Touristen den festen Boden erreichen. Schon seit 4 Monaten hat kein solches Schiff mehr seine Besucher auf die Insel setzen können. Noch immer ist völlig unklar, ob das Wetter uns einen Landgang erlauben wird.
Erst bei Anbruch des Tages zeigt sich wieder, wie uns das Glück mit dem Wetter auf unserer Reise begleitet. Die Wiesen, Hänge und Felsen der Insel strahlen im Sonnenlicht und nur die Spitze des Vulkans liegt in den Wolken versteckt.
Fast rund um die Insel steigen senkrecht die Klippen aus dem Wasser empor. Nur hier am Dorf hat die Insel flache, begraste Hügel ausgebildet, auf denen inzwischen Kühe, Schafe und Esel weiden.
Tristan liegt auf rund 40 Grad Süd, etwa auf derselben geografischen Breite, wo auf der Nordhalbkugel Süditalien liegt. Im Sommer brennt die Sonne, während im Winter kalte, feuchte Winde vom Südmeer her blasen. Gegerbt vom Wetter und dunkel von der Sonne ist die Haut der Menschen die hier leben.
280 Menschen mit nur 7 Nachnamen haben diesen Fleck zu ihrer Heimat gemacht. Ein Stammbaum führt jeden einzelnen Bewohner im Ort „Edinburgh of the Seven Seas“ bis auf seinen Urahnen zurück, der einmal hier als Schiffbrüchiger oder Abenteurer gelandet ist.
Zwischen Hügeln und Sträuchern ducken sich kleine, flache, weiße Häusern vor Sonne, Wind und Wetter. Wände aus Lavasteinen halten Kälte und Hitze ab. Wenige Häuser sind noch traditionell mit Gras gedeckt, bei den meisten haben Wellblech oder Dachziegel diese Funktion übernommen. Große Gasflaschen stehen außen an jedes Haus gelehnt und ein dünner Schlauch, der ins Innere führt, lässt erahnen, wo Herd und Küche sind.
Inmitten des Dorfes findet sich alles, was man zum Leben braucht. Klein und sparsam aber ausreichend.
Bescheiden überragen die beiden Kirchen kaum die Höhe der flachen Häuser. Und ein ebenso unscheinbares Hospital bietet erste Hilfe bei unkomplizierten Erkrankungen und leichten Unfällen. Wenn Patienten über längere Zeit gepflegt werden müssen, dann erscheinen Familienangehörige und Freunde hier abwechselnd zum Dienst. Und schwierige Fälle werden nur im 1000 Meilen entfernten Kapstadt behandelt.
Der Dorfladen erinnert an lang vergessen geglaubte Zeiten. Die wenigen Gefriertruhen und Blechgestelle müssen wohl vor 30 Jahren schon hier gestanden haben. Kein Duft frischen Kaffees oder Brotes, weit entfernt von den glitzernden, hell durchleuchteten, duftenden Supermärkten, die uns heute überall zum Einkauf verführen. Obst und Gemüse kommt hier einmal monatlich, der Rest sind Gefriergut, Konserven und Trockennahrung.
Ein paar Werkstätten sorgen dafür, dass Gerätschaften selber produziert und instand gehalten werden. Und selbstverständlich gibt es auch die Dorfkneipe fürs Feierabendbier.
Die letzten Jahre haben sogar das Internet in die Siedlung gebracht. Ein Schild weist den Weg zu einer riesigen Satellitenschüssel, die den schnellen Kontakt in die Welt ermöglicht.
Ein Stück vom Dorf entfernt liegen ein paar große Kartoffelfelder, die sich mit flachen Mauern aus schwarzem Vulkanstein in kleine Parzellen unterteilen. Vermutlich wurden diese Felder über Generationen geteilt und vererbt und wieder geteilt und wieder vererbt.
Die Bewohner leben vor allem von Fisch- und Lobsterexport. Sie müssen und wollen keine Touristen schröpfen. Stattdessen freuen sie sich über neue Gesichter und sind offen für einen Plausch. Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit werden groß geschrieben.
Die seltenen Besucher, die ein paar Nächte bleiben möchten, werden entweder gleich Hausgast bei einer der Familien im Ort oder finden ein ruhiges Zimmer in der einzigen Pension im Dorf. Ein kleines Tourismusbüro ist mit der Poststelle und dem Dorfmuseum vereint.
Keine nachlässigen Promenadenrestaurants verderben die gute Laune, keine Souvenirstände versperren den Blick. Wenn die seltenen Urlauber das Dorf bevölkern, kümmern sich stattdessen die Hausfrauen mit hausgemachtem Kuchen und Broten ums leibliche Wohl.
Die gesamte Insel lädt zum Wandern und Verweilen ein. Über 2000 Meter hoch kann man bis auf die Spitze des alten Vulkans empor steigen oder einfach den Ausblick auf das unendliche Meer genießen. Ein Urlaub hier kann bestimmt reizvoll sein.
Am nächsten Tag geht auch die „Plancius“ hier vor Anker. Der alte Eisbrecher, der jetzt als Expeditionsschiff fährt, hat mit seinen 50 Gästen fast die gleiche Route hinter sich wie wir. Die „Plancius“ ist etwas schneller unterwegs und statt den Segeln herrscht hier motorisierte Kreuzfahrtatmosphäre.