16. März, 2. Tag Deception Island, Telefon Bay & Pendulum Cove
Wer hier im Süden Reisen organisiert, muss dem „Klub“ der IAATO angehören. Es ist ein Zusammenschluss aller Antarktis-Reiseveranstalter, praktisch eine Art Kartell welches sich zahlreiche Regeln auferlegt, um das Erlebnis dieses ursprünglichen Kontinents so einmalig und hochpreisig zu erhalten.
Erlaubt ist maximal ein touristisches Schiff pro Ausflugsort und der Sichtkontakt zwischen Schiffen soll nach Möglichkeit vermieden werden. Deception Island ist beliebt und somit ein Nadelöhr. Nur wenigen Antarktis-Touristen ist deshalb ein zweiter Tag auf dieser Insel vergönnt.
Doch jetzt am Ende der Saison, wenn die Sonnentage kürzer werden und die schneidenden Winde an Schärfe gewinnen, ist unser Dreimaster der einzige Besucher weit und breit. Fest verankert liegt die Bark Europa für einen zweiten Tag auf der „Insel der Enttäuschung“. Dutzende Meter wuchtiger Ankerkette haben sich wie lange Wurzeln am sandigen Boden des alten Kraters festgesaugt.
Der erste Strand des heutigen Tages in der Telefon Bay sieht aus wie aufgeschüttete Berge aus Seramis. 1971 hat hier der letzte Vulkanausbruch dicke Schichten hinterlassen. Eine trockene, fast leblose Wüste aus grobkörniger Asche, Bimsstein und Obsidian. Dank Schwefel und Eisen im Gestein gesellen sich zum Schwarz auch alle Schattierungen aus Gelb, Orange und Rot und Braun.
Der Wind singt in den Trögen und Tälern, welche die Eruptionen gebildet haben. In der ganzjährigen Kälte erhält sich diese Landschaft noch länger als an anderen Stellen des Planeten. Nur erste kleine gelbe Flechten klammern sich wie Farbspuren langsam in die Ritzen der erodierenden Steine.
Am Nachmittag zeigt der Strand von Pendulum Cove ein etwas anderes Bild derselben Geschichte. Aus dem Sand quillt Dampf hervor. Nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche kocht das Wasser und der schweflige Geruch verrät die vulkanische Herkunft sofort.
Bei schönem Wetter werden von den Besuchern flache Mulden und Kanäle in den Sand gegraben. Das kalte Wasser der See vermischt sich dann mit dem heißen Boden und wird zum wahrscheinlich südlichsten Thermalbad der Welt.
Alle Orte auf dieser Insel sind ein Schauplatz für die Gewalten der Natur. Hier finden sich wieder dicke Schichten aus Asche, diesmal auf den Hängen blauer Gletscherzungen rundherum. Im Tal stehen die kläglichen Reste einer alten chilenischen Forschungsstation. Der Ausbruch hat sie damals komplett zerstört.
Auf der Fläche eines kleinen Fußballfeldes liegen völlig verwüstet die Trümmer verteilt. Angekohlte hölzerne Planken, zerbrochenes Glas, verbrannter Stahl, fast konserviert für die Ewigkeit. Jeden Moment erwartet man, auf persönliche Überreste zu stoßen. Vielleicht ein Tagebuch oder eine Armbanduhr. Ob die ersten Helfer nach der Katastrophe ein anderes Bild erwartete?
Argentinien und Spanien haben bis heute zwei Stationen hier. Noch immer bescheinigen die Forscher den Vulkanen der Insel ein erhebliches Ausbruchsrisiko. Für den Ernstfall existiert für Forschung und Tourismus deshalb ein klarer, harter Notfallplan. Zuerst fährt jedes Schiff aus dem Kessel der Caldera heraus in die Sicherheit der offenen See. Danach erst werden eventuell gestrandete Besucher nachgeholt, nachdem sie sich irgendwie auf die dem offenen Meer zugewandte Seite der Insel geflüchtet haben.